
Moraltheologe für zeitgemäße Neubewertung der katholischen Sexualmoral
Der Südtiroler Moraltheologe Prof. Martin M. Lintner hat sich für eine zeitgemäße und theologisch fundierte Neubewertung der katholischen Sexualmoral ausgesprochen. Im Interview mit der Kirchenzeitung der Erzdiözese Wien, "Der Sonntag" (aktuelle Ausgabe), plädierte Lintner für eine Rückbesinnung auf die biblische Wertschätzung von Leiblichkeit und sexueller Lust. Die Sexualität sei "Teil der guten Schöpfung" und nicht von vornherein negativ zu bewerten, so Lintner, der an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Brixen lehrt. Die Kirche habe historisch mit einer "lust- und sexualfeindlichen" Haltung zu kämpfen gehabt. "Da gibt es nichts schönzureden", so der Servitenpater. Die Bibel vermittele hingegen, "dass Sexualität Menschen etwas vermitteln kann vom Heil-Sein in der Welt".
Die Wurzeln der Lust- und Leibfeindlichkeit seien nicht primär christlich, sondern in antiken philosophischen Einflüssen zu suchen, "die über die Kirchenväter in das christliche Denken Eingang gefunden" hätten. Lust sei verdächtigt worden, "den Partner beziehungsweise die Partnerin zum Lustobjekt" zu degradieren. "Deshalb konnte man Lust und auch die Erfahrung der sexuellen Lust nicht wertschätzen, sondern hat sie eben als Gefahr angesehen", so Lintner im Interview. Er lehrt seit 2009 Moraltheologie und Spirituelle Theologie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Brixen in Südtirol. Zuletzt ist von ihm der Band "Christliche Beziehungsethik" erschienen (Herder-Verlag).
In der katholischen Sexuallehre erkennt Lintner bislang ungenutzte Potenziale - etwa im Schutz von Schwächeren und in der Anerkennung von Verwundbarkeit in Beziehungen. Als Beispiel nennt er den kirchlichen Einsatz für den freien Konsens bei Eheschließungen und den Schutz vor sexueller Nötigung. Außerdem habe sich die Kirche auch für die Würde der Frau als Rechtssubjekt eingesetzt.
Lintner plädierte für eine Weiterentwicklung der kirchlichen Sexualethik hin zu einer "Tugend- oder Befähigungsethik", die stärker auf persönliche Verantwortung und die Sehnsucht nach gelingenden Beziehungen setzt - statt auf detaillierte Vorschriften und "Du sollst". Normierungen brauche es eher dort," wo es um Grenzen geht, die nach unten hin nicht überschritten werden dürfen, weil sie immer bedeuten, dass Menschen in ihrer Würde, in ihrer Freiheit, in ihrer Selbstbestimmung, in ihrer körperlichen und psychischen Integrität verletzt werden".
Die Kirche müsse sich fragen, "was sie durch ihre Ehelehre schützen will" - etwa Verbindlichkeit, Verantwortung oder gegenseitigen Respekt -, und diese Werte auch in Partnerschaften jenseits der sakramentalen Ehe anerkennen. Ziel müsse es sein, differenzierte Zugänge zu fördern, ohne zentrale ethische Grenzen aufzugeben. Lintner verwies dabei etwa auf Paare, "die - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr kirchlich heiraten, aber in Beziehungen leben, in denen sie verwirklichen, was die Kirche durch ihre Ehelehre zu schützen versucht (...)".
Helfen könne dabei auch eine Rückbesinnung auf die biblischen Bezüge zur Sexualität, etwa in der Schöpfungsgeschichte Genesis 2 oder im "Hohelied". Diese Texte zeigten Sexualität als Ausdruck von Liebe, Verbundenheit und menschlichem Heilsein. Zugleich werde in der Bibel auch die Ambivalenz der Sexualität thematisiert - als Bereich, in dem Menschen sowohl Freude als auch Verletzungen erleben können - und zeige damit "einen sehr realistischen Blick auf die Sexualität". Doch trotz dieser Ambivalenz bleibe Sexualität "eine Dimension des Menschseins, durch die der Mensch mit Gott in Berührung kommen kann", so der Theologe. (Interview im Wortlaut: https://www.dersonntag.at/artikel/martin-lintner-sexualitaet-gehoert-zur-guten-schoepfung/)
Quelle: kathpress